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15. Februar 2024

Schuh-Werkstatt wagt Neustart

Vom Stammsitz in der Goethestraße zieht Holzwarth Orthopädieschuhtechnik Anfang März ins neue Ärztehaus im Eisental: Das Risiko sei nötig

Es ist kein leichtfertiger Schritt, wenn ein Familienbetrieb nach Jahrzehnten die Innenstadt verlässt und in ein Gewerbegebiet zieht. Die Familie Holzwarth-Ruml aus Waiblingen hat entschieden: Wenn mit den beiden Söhnen die nächste Generation ins Orthopädieschuh-Handwerk einsteigt, brauchen sie moderne und größere Räume. In puncto Barrierefreiheit war der angestammte Werkstattladen in einem Wohnhaus in der Goethestraße ohnehin von gestern – er steht unter Bestandsschutz, doch eine Investition wäre auf jeden Fall nötig geworden. Ein Risiko ist der Umzug ins „Medicplaza“-Ärztehaus im Eisental trotzdem. Aufregung und Zuversicht, Vorfreude und ein bisschen Wehmut.

Die Entscheidung liegt schon etwas zurück: Vor zweieinhalb Jahren, im Sommer 2021 schon, bot sich die Gelegenheit. Und Familie Holzwarth-Ruml griff zu. Unsere Zeitung hatte im März und Juli 2021 erstmals über Pläne für ein Ärztehaus im Eisental namens „Medicplaza“ berichtet. Das lasen auch die Orthopädieschuhmacher und meldeten sich daraufhin bei den Investoren. Zu ihrem Handwerk gehören neben den eigentlichen Gesundheitsschuhen auch die Anpassung von Bandagen oder Orthesen sowie alle möglichen Lederreparaturen, vom gewöhnlichen Stiefel über Gürtel und Tasche bis zur Lederjacke. Mit diesem handwerklichen Können, findet René Ruml, wäre der Betrieb doch eine gute Ergänzung für das Ärztehaus.

Beide Söhne haben studiert und könnten auch in der Industrie arbeiten

Der 28-Jährige hat Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Automobil studiert, aber auch in der elterlichen Werkstatt das Handwerk gelernt. Er ist bereits Orthopädieschuhmachermeister. Zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Patrick Ruml, der als Wirtschaftsingenieur in der Industrie Erfahrung gesammelt hat und in Kürze die Meisterschule abschließt, stellt er die neue, vierte Generation im 1946 gegründeten Familienbetrieb dar. Vater Harald Ruml wird dieses Jahr 60, Mutter Simone Holzwarth-Ruml – von allen als „die Chefin“ bezeichnet – ist 57. Sie beide hätten für sich die Investition, die mit dem Umzug einhergeht, nicht mehr gestemmt. Doch für ihre Söhne tun sie es. Was aber nicht heißt, dass die jetzigen Inhaber sich direkt zur Ruhe setzen. Ein paar Jahre übernehmen sie noch die Verantwortung, wird Harald Ruml weiter in der Werkstatt stehen. Doch die Grundlagen sind gelegt.

Das kostet allerdings auch eine Stange Geld. Zwar ist die Werkstatt auf einem guten Stand, was die Maschinen angeht. Trotzdem stattet die Familie Holzwarth-Ruml sich im Eisental fast komplett neu aus, bis auf einige alte Pressen zum Festspannen der Schuhleisten. Immerhin geht es um den neuen Hauptsitz – der Standort Fellbach bleibt mit dem Laden in der Hinteren Straße sowie einem auf Arbeitssicherheit beschränkten Teil-Standort im „World of Work“ in der Stuttgarter Straße zwar unverändert bestehen. Doch das neue Domizil ersetzt eben das Mutterhaus, was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Immerhin wohnten die ersten Generationen auch in der Goethestraße. In der Innenstadt war die Suche nach einem Alternativstandort immer ohne Treffer geblieben.

Im „Medicplaza“ stehen dann neue Maschinen bereit, auch ein Scanner, mit dem Kundenbeine auf Wunsch kontaktlos für die Kompressionsstrümpfe vermessen werden können. Auch den Innenausbau finanzieren die Mieter selbst. Die Werkstatt hat eine Glasfront erhalten, damit Kunden bei der Arbeit zusehen können. Das alles kostet, und natürlich ist auch die Miete höher als in der Goethestraße – wo der Laden günstiger, aber nicht gratis existiert. Eigentümer sind die Eltern von Simone Holzwarth-Ruml. Wie es mit dem Gebäude nach dem Auszug der Werkstatt weitergeht, ist noch offen.

Der Familienbetrieb hofft und rechnet damit, dass die Anstrengungen – auch finanziell – sich auszahlen. Im Eisental sind die Räume groß, modern und hell. Es gibt zahlreiche Parkplätze, die Bundesstraße ist nah. Nicht weit entfernt liegt die Bushaltestelle Anton-Schmidt-Straße, wo Busse der Linie 216 vom Bahnhof halten. Vor allem aber setzen die Holzwarth-Rumls auf die Nähe zu den Arztpraxen, darunter auch eine orthopädische. Dadurch, so René Ruml, steige hoffentlich die Kundenfrequenz.

Die Preise anzuheben, ist indes nicht vorgesehen, trotz der seit Corona und Ukraine-Krieg gestiegenen Materialkosten. Die meisten Preise sind ohnehin vorgegeben. Für höherwertige Einlagen, die die Kassen nicht übernehmen, hat die Familie nach eigenen Angaben nur 2018 und 2022 etwas aufgeschlagen. Auch sie bekommt mit, dass manche Kunden sich heute eher zurückhalten – bei zwei Paar Einlagen etwa nur ein teureres kaufen, wenn sie früher „ohne zu überlegen“ zwei genommen haben, so Harald Ruml. Man könne nicht alle Kosten auf die Kunden umlegen, sagt Simone Holzwarth-Ruml.

Beide Generationen erklären: „Wir haben Respekt vor dem Schritt.“ Ein Risiko sei dabei. Aber es sei auch unternehmerisch notwendig. „Hierbleiben ist keine Option“, betont René Ruml. Auch wenn das Verlassen der Goethestraße „ein bisschen traurig“ sei, schließlich habe die Uroma hier gelebt. Mama und Chefin Simone Holzwarth-Ruml hat genau deshalb schon bestimmt: Wenn vor dem Eisental-Neustart am 4. März im Stammhaus zum letzten Mal die Ladentür abgeschlossen wird, „drehe ich den Schlüssel um“.

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